Körperweisheiten

Den Körper zu unserem besten Freund machen, indem wir ihm wieder lauschen: bereit sein zu verstehen, was er uns sagen will. Wahre Achtsamkeit liegt nicht mit dem Fokus im Aussen, sondern beginnt mit einer Innenschau.

Körperlauschen

Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.

Christian Morgenstern

In unserer ruhelosen Zeit missachten wir konsequent die Signale unseres Körpers und treiben ihn immer mehr in unnatürliche Zustände. Dabei weiss unser Körper viel mehr, als wir glauben über ihn zu wissen. Würden wir dieser Körperweisheit wieder folgen, würden sich folgende Zustände gar nicht erst ergeben:

chronischen Verspannungszuständen: verhärtete Muskeln, nächtliches Zähneknirschen, verspannte Gesichts-, Nacken- u. Schultermuskulatur

seelisch-geistigen Problemen: Groll, Energiemangel, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Überbesorgtheit, Entscheidungsunfähigkeit

Herzbeschwerden: Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck

Magen-Darmprobleme: Durchfall, Verstopfung, Sodbrennen

Ungesunde Schlafmuster, Migräne uvm.

All das könnte auf eine Dysregulation des autonomen (vegetativen) Nervensystems zurückzuführen sein. Dieses steuert die Aktivität lebenswichtiger Organe und ist für viele Vitalfunktionen zuständig: Atmung, Verdauung, Herzschlag, Blasenfüllung, Hormonregelulierung.

Die wichtigste Aufgabe des autonomen Nervensystems ist: ständig für unsere Sicherheit zu sorgen und uns am Leben zu erhalten: der Sympathikus mobilisiert bei Gefahr alle Energie. Der Vagus als Teil des parasympathischen Systems hat eine Doppelrolle: der vordere Vagus beeinflusst Herz- und Atemfrequenz, steuert Gesichts- und Halsmuskeln (Mimik, Stimmlage, Sprachrhythmus). Der hintere Vagus stimuliert u.a. die Verdauung. Dem Sympathikus und dem Vagus werden ganz unterschiedliche Emotionen und Zustände zugeordnet:

  1. Bereich der Sicherheit

Fühlen wir uns wohl und sicher, ist der vordere Vagus, der jüngere Ast des Vagusnerves, aktiv: wir sind dem Leben und anderen Menschen zugewandt, kommunizieren offen, haben Gefühle wie Freude, Liebe und Zufriedenheit. Selbst eine Art von Traurigkeit, die uns berührt und öffnet, ohne uns in ein Loch zu stürzen, zählt zum Bereich der Sicherheit.

  1. Kampf und Flucht

Nimmt unser Körper eine Gefahr wahr, mobilisiert er alle seine Energien: das Herz schlägt schneller, die Atmung wird flacher, der Blutdruck steigt, die Leber setzt zusätzlichen Zucker frei, Darmbewegungen sowie der Appetit werden eingestellt. Dies alles, um unsere Muskeln schnell in Aktivität versetzen zu können. Wir fühlen uns gestresst und Gefühle wie Zorn, Ungeduld und Angst herrschen vor. Wir sind nicht in der Lage Beziehungen und Bindungen einzugehen.

  1. Erstarrung

Sind Kampf oder Flucht keine Option mehr, weil die Gefahr für uns lebensbedrohlich wird, kommt der ältere Teil des Vagus, der hintere Teil, ins Spiel: wir kollabieren, erstarren und werden empfindungslos. Unser Körper fährt auf Energiesparmodus. Der Muskeltonus geht verloren, der Blutdruck sinkt. Dies kann zu Ohnmacht führen. Wir fühlen uns hoffnungslos, hilflos und sind apathisch.

In der heutigen Zeit sieht unser Verstand als jüngstes Mitglied unseres Nervensystems Gefahren, wo für unseren Körper gar keine bestehen: es gibt keinen Säbelzahntiger mehr, sondern wir haben aufgrund unserer Erfahrungen die Idee davon, dass überall Gefahren lauern. Zudem leben wir in einer Gesellschaft, in der wir uns x-Regeln aufgestellt haben, wie wir sein sollten. Daraus entsteht Angst (=Stress), aus der Herde ausgestossen zu werden, wenn wir dem nicht gerecht werden. Dies bedeutet für unser Nervensystem eine der höchsten Gefahren: denn ausserhalb der Herde waren wir schutzlos, also praktisch dem Tode geweiht. Das führt zu Dauerstress, der zu Flucht- oder Kampfmodus oder zu einer Erstarrungsreaktion führt.

Eine der effektivsten Praktiken, zur (Wieder)Aktivierung einer gesunden Regulation des Nervensystems, die ich kenne, ist das sogenannte Embodiment (Verkörperung): über archaische (ureigene) Körperbewegungen lernt man die Weisheit des Körpers wieder zuzulassen, zu lesen und ihr zu folgen. Beobachten wir Babies, die sich noch im Körper befinden und mit dieser Weisheit verbunden sind, können wir viel lernen, was es heisst, sich natürlich zu verhalten und immer wieder mühelos vom Unwohlsein ins Wohlsein zu wechseln: es wird kurz (!) geweint, gelacht, gepubst, gegähnt, geschmust, gezankt etc.

Wir sollten also wieder herzhaft Gähnen, Grimassen schneiden, Summen, Singen , uns schütteln, drehen, lachen, weinen usw.

…vielleicht denkst (!) Du beim Lesen der letzten Zeilen: «Das kann ich doch nicht machen!» Ich bin mir aber sicher: Dein Körper freut sich darauf, denn unser Körper lügt nie. Wir belügen uns tagtäglich mit Hilfe unseres Verstandes und muten uns nicht mehr zu. Statt «Nein» zu sagen, sagen wir «Ja» und umgekehrt, statt uns zu bewegen, halten wir in Starre aus. Und währenddessen schreien unsere Körper, indem sie uns die oben aufgezeigte Symptome schicken.

Die Entscheidung über Wohlbefinden oder Unwohlsein liegt also bei jedem von uns: wahrhaftig lebendig sein und sich damit zeigen oder sich permanent hinter vielen Masken verstecken und im Aushalten bleiben.

Grit Eismann, dipl. Heilpraktikerin TEN und Klass. Homöopathie, LifeCoach, BewegungsCoach                                       14.08.2020

Quelle:  natur & heilen, Dezember 12/2019, «Der Selbstheilungsnerv» von Iris Eisenbeiss